Verkehrshölle Essling adieu?

Expertengespräch

Unser Aktivist Johann Wieland, seit 14 Jahren begeisterter Wahl-Esslinger, hat mit Verkehrsplaner Ulrich Leth von der TU Wien ein Gespräch über die Verkehrshölle in Essling heute und in Zukunft geführt. Er hinterfragt auch, ob die S1 eine Verkehrsberuhigung bringen würde, um endlich wieder ein Zentrum, eine Begegnungszone für die Esslinger:innen zu realisieren. Dieser Artikel und das Interview sind in ähnlicher Form auch im Stadtteilmagazin Essling erschienen.

GEdanken zu essling bei Apfelkuchen

Bei einer „Melange“ in „Fredi´s Cafe“ genieße ich den selbstgemachten Apfelkuchen. Den gönne ich mir, weil die Esslinger Augenärztin bestätigte, dass alles ok ist, ich brauch keine neue Brille. Während ich leise das Milchhäubchen vom Kaffee wegschlürfe, sehe ich hinter Fredi´s  Schanigarten den „schiachen“, neu asphaltierten Platz bei der Kirche. Sinniere über den nicht vorhandenen Esslinger Hauptplatz und da höre ich es, dieses gleichmäßige, unangenehme laute Rauschen der Autos, bis sie kurz von der roten Ampel gestoppt werden, dann geht’s wieder los.

Da fallen mir die Argumente der Lobautunnel Befürworter ein, wie zb unseres Bezirkschefs und anderen PolitikerInnen. Seit Jahren erzählen sie uns, dass alles besser, ruhiger wird, weil der Durchzugsverkehr vom Ortskern abgezogen wird. Voraussetzung aber ist die Wiener Außenring Schnellstraße S1, im Endausbau mit der Stadtstraße, Spange und Lobautunnel.

Die Lobau ist ja von Bundesministerin Gewessler gerettet worden und zurzeit wird „nur“ die Stadtstraße gebaut. Wie es mit der S1 Spange und bis Großenzersdorf weitergeht, ist noch unklar. Heißt das jetzt, dass die Verkehrshölle in Essling bleibt? Allerdings, hab ich immer wieder gehört und gelesen, dass mehr Straßen, mehr Verkehr bedeuten, warum eigentlich? Ich denke mir, um das zu klären braucht es einen Experten.

Verkehrsplaner Ulrich Leth im Gespräch

Mein Gesprächspartner arbeitet bei der TU Wien. Genauer g´sagt am Forschungsbereich für Verkehrsplanung & Verkehrstechnik. Neben Forschung, Lehrtätigkeit, Mitarbeit in Ausschüssen, Co-Autor von Büchern, veröffentlichte er auch wissenschaftliche Publikationen z.B. zum Modal Split. Hier mein Interview mit Ulrich Leth.

DI Ulrich Leth, Assistent an der TU Wien, im Gespräch mit Johann Wieland

warum bedeuten Mehr Straßen mehr verkehr?

JW: Herr DI Leth, 2022 wurden in Essling im Schnitt 16.728 Fahrzeuge pro Tag gezählt, das waren über 6 Millionen. Unglaublich, sind diese Zahlen richtig?
UL: Ja, die Zahlen kommen von der automatischen Verkehrszählstelle an der Esslinger Hauptstraße (bei Fellnergasse). Das sind Induktionsschleifen die im Straßenbelag eingelegt sind, in Wien gibt es ca. 70 Stellen.

JW: Was bedeutet „mehr Straßen produzieren mehr Verkehr“ und ist diese Aussage wissenschaftlich untermauert?
UL: Dieses Phänomen nennen wir „Induzierter Verkehr“ das heißt, DAS ANGEBOT BESTIMMT DIE NACHFRAGE. Baue ich Radwege, werden mehr Menschen mit dem Fahrrad fahren. Baue ich Straßen, mehr Spuren für Autos, kommt es zu mehr Autoverkehr. Es gibt Unmengen von Studien die belegen, dass mehr Straßen kurzfristig Entspannung bringt, weil aber das Angebot mehr Autofahrer nutzen, kommt es bald zur Sättigung und dann wieder zum Stau.

Studie mit zwei szenarien

JW: Sie haben an der Studie „ Erreichbarkeit der Wiener Stadterweiterungsgebiete in Aspern bei Verzicht auf die Donauquerung der S1“ mitgearbeitet. Habe ich das richtig verstanden, dass hier die Auswirkungen ohne den Lobautunnel untersucht wurden?
UL: Ja, es sind zwei Szenarien, die wir uns genauer angesehen haben, einmal nur die Verbindung Stadtstraße, Spange über den Knoten Raasdorf zur S1 und einmal von Raasdorf zur Umfahrung von Großenzersdorf, um auch Essling zu entlasten. Untersucht wurde das Verkehrsaufkommen mit und ohne Öffi-Ausbau und Parkraumbewirtschaftung, aber ohne Einbindung des Lobautunnels aus der Studie von 2017, die im Auftrag der Stadt erstellt wurde.

JW: Wer war der Auftraggeber der Studie?
UL: Auftraggeber war das BMK und sie wurde im September 2022 von BM Gewessler und dem Studienleiter Univ. Prof. Mag. Dr. Günter Emberger präsentiert.

JW: Können Sie in ein paar Sätzen das Ergebnis auf den Punkt bringen?
UL: Die Szenarien mit dem Straßenbau führen uns weg von den Klimazielen, die sich die Stadt selber gestellt hat. Nur der Verzicht auf mehr Straßen, die De-Attraktiverung des privaten PKWs, Tempo 30, Verbesserung der Parkraumbewirtschaftung, Optimierung und zusätzliche Öffis,  Förderung des Fuß- & Radverkehrs, effektiven CO2-Bepreisung, Superblocks usw, bringen uns zum Ziel.

JW: Kennen die politischen Entscheidungsträger:innen, wie Ludwig, Sima, Nevrivy diese Studie, bzw haben sie z.B. Beamt:innen gesendet, um die Studie zu vertiefen?
UL: Mit uns Studienautor:innen haben sie nicht geredet. Nach der Präsentation hat es mehrmals Gesprächsangebote vom Bund an Wien und NÖ gegeben, diese sind aber meines Wissens nicht angenommen wurden.
JW: Eigenartig, wir haben studierte Verkehrsexpert:innen, die Wiener Unis werden mit ca. 4 Mrd Euro pro Jahr mit unseren Steuern finanziert, aber die Entscheidungsträger:innen hören nicht auf sie.

Mehr Verkehr durch Essling

JW: In den letzten Jahren wurden tausende Wohnungen, in Essling gebaut. Sollte die S1 kommen, werden dann die Autofahrer:innen eher durch Essling in Richtung S1 fahren und dadurch noch mehr Verkehr bringen?
UL: Ja, der zusätzliche Verkehr durch Neubauten, würde nach Logik der Stadt dann über Essling zum Tunnel fahren. Allerdings ist es für uns Planer:innen schwer vorstellbar, dass Einpendler:innen von NÖ kommend und Autos von den Neubauten einen Umweg in Kauf nehmen, außer sie müssen in den Süden von Wien.

JW: Was ändert sich für Essling gegenüber heute, wenn nur die Stadtstraße fertig ist. Gibt´s mehr oder weniger Verkehr?
UL: Da ändert sich gar nichts. Allerdings denken sie an die Radio Verkehrsdurchsagen heute, z.B. über den Stau vom Hirschstettner Tunnel auf die A23, der Stau wird noch mehr zunehmen und das betrifft auch die Esslinger:innen, die auf die A23 wollen.

Klimaziele so nicht erreichbar

JW: Laut Klimaziel bis 2040 müssten die C02 Emissionen jährlich um 7 % fallen, davon sind wir aber weit entfernt. Hilft uns da die Nordostumfahrung?
UL:
In allen Szenarien mit Straßenbau entstehen 2 Mio. Fahrzeugkilometer mehr (> 10%) und die produzieren mehr CO2 Emissionen, so werden wir die Ziele sicher nicht erreichen.

JW: Während Paris oder Oslo Autos verbannen will Wien die S1 mit dem Lobautunnel. Wales hat die Umweltkosten von 59 geplanten Straßenprojekten überprüft und festgestellt, dass dadurch die Nachfrage nach neuen Straßen gefördert würde, 32 wurden sofort eingestellt. Weil die CO2 Ziele nicht erreichet werden können. Wie sehen sie das?
UL: Der Bund hat ja reagiert, und es werden alle Bauvorhaben geprüft. Darum hat die BM Gewessler den Tunnel auf Eis gelegt. Allerdings, die Befürworter warten darauf, dass die Grünen nicht mehr in der Regierung sind, dann können sie bauen.

JW: Sollten wir unsere PolitikerInnen, die S1 Befürworter nach Paris und Wales senden?
UL: Ja, es würde vielen gut tun, zu schauen was sich international tut. Weil Wien sich auf dem Polster der Vergangenheit ausruht, und dabei immer weiter zurückfällt. In punkto Klimaanpassung wird in vielen Städten deutlich mehr gemacht. Was es braucht sind Politiker:innen mit Visionen wie der Verkehr der Zukunft aussehen soll, und die Maßnahmen setzen. Weil erst im Nachhinein kommt bei der Bevölkerung auch die Zustimmung, wie zb bei der Mariahilferstraße, dem Parkpickerl, aber es braucht halt Mut.

Möglichkeiten der verkehrsberuhigung

JW: Zurück zur Verkehrshölle Essling, üblicherweise gibt´s bei einer Dorfkirche einen großen, ruhigen Platz, wir haben stattdessen nur einen lauten Verkehr. Wenn sie als Verkehrsplaner entscheiden könnten, wie würden sie die Verkehrssituation beruhigen um ein Zentrum, eine Begegnungszone zu schaffen?
UL: Als Sofortmaßnahme Tempo 30, das kostet nicht viel, senkt den Verkehrslärm um die ½ und bringt mehr Verkehrssicherheit. Fahrspuren verengen und Radwege anlegen, die es heute auf der Esslinger Hauptstraße nicht gibt, sowie ein Verbot des LKW Transitverkehrs. Zusätzlich brauchts noch dichtere Schnellbahnen und eine Straßenbahn über Aspern nach Großenzersdorf mit Park&Ride. Der Ball liegt hier bei der Stadt Wien, die sich zum Ziel gesetzt hat, dass bis 2030 um 45 % weniger Autofahrten in  Wien unternommen werden. Damit gäb’s auf der Tangente 80.000 Autos pro Tag weniger (1/3) und in Essling 8.000 Autos weniger und damit die Hälfte des heutigen Verkehrs.

TEmpo 30 Träume im Cafe …

Wieder sitze ich bei einer feinen  Melange aber heute im Schanigarten von Fredi´s Cafe. Ein schönes Ambiente, so vor der Kirche, nur der Autolärm ist teilweise unerträglich. Da gehen mir die zwei langen Gespräche mit Herrn Leth wieder durch den Kopf und ich stelle mir vor, wie dieser unerträglich laute Verkehrslärm so einfach um die Hälfte leiser wird, mit Tempo 30, 30, 30, 30 …. 

Hier findest du Informationen zu unserem Konzept für eine Verkehrsentlastung in der Donaustadt: